Samstag, 2. März 2019

Eure Heimat ist unser Albtraum herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah.


Originalausgabe - Erschienen bei Ullstein fünf - 2019

Was bedeutet es, sich bei jeder Krise im Namen des gesamten Heimatlandes oder der Religionszugehörigkeit der Eltern rechtfertigen zu müssen? Wie viel Vertrauen besteht nach dem NSU-Skandal noch in die Sicherheitsbehörden? Und wie wirkt sich Rassismus auf die Sexualität aus? Dieses Buch ist ein Manifest gegen Heimat. 14 Autor_innen geben in persönlichen Essays Einblick in ihren Alltag und halten Deutschland den Spiegel vor: einem Land, das sich als vorbildliche Demokratie begreift und gleichzeitig einen Teil seiner Mitglieder als "anders" markiert, kaum schützt oder wertschätzt.

Bei einem gemeinsamen Livestream von Tina und Anne wurde nach Büchern gefragt, die die eigene Sichtweise verändert haben. Als ich danach mein Bücherregal angestarrt habe, um die Frage für mich selbst zu beantworten, wusste ich erst nicht so recht, nach was ich suchen sollte Ich bin nicht Vegetarier geworden, nachdem ich "Tiere essen" von Jonathan Safran Foer gelesen habe. Ich hab schon vor meiner feministischen Lektüre ein Unbehagen bei der vermeintlichen Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gespürt (kann es jetzt aber besser benennen, soviel Credit muss sein). Doch dann ist mir ein Buch aufgefallen und ich habe mich geschämt, dass ich es vergessen habe, denn Vergessen und Ausblenden ist hier ein standardisiertes Symptom: "Ellbogen" von Fatma Aydemir. Nach der Lektüre ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich bisher so gut wie keine ... nein ... keine deutsch-türkische Literatur gelesen habe, dass diese Literatur weder in meinem Bücherregal noch in der öffentlichen Wahrnehmung wirklich stattfindet.

Wie kann das sein?


Ich bin eine deutsche Kartoffel. Mein Freundeskreis besteht so gut wie nur aus deutschen Kartoffeln. Das ist keine Absicht und fühlt sich gerade nach einem Buch wie "Eure Heimat ist unser Albtraum" nicht besonders gut an. Überhaupt ist diese Essaysammlung ein unbequemer Schlag in die Magengrube. Aber ein notwendiger. 
14 Autor_innen erzählen von 14 und mehr Wegen, wieso der Begriff "Heimat" unnütz ist, wenn doch "Heimaten" viel besser passen und so viel sichtbarer sein sollten. Denn niemand passt in eine Schublade. Wir sind alle riesige Apothekerschränke. 

"Zu Hause ist, wo ihr seid." (aus "Zusammen" von Simone Dede Ayivi, Seite 194)

Die 14 Autor_innen sind grundverschieden, bis auf einen verbindenden Punkt: Alle sind von Alltagsrassismus betroffen. Mal mehr, mal weniger. Mal offen, mal versteckt in Fragen wie "Wo kommst du eigentlich her?", (dazu passend der Hashtag #vonhier). Wie weh es tut, nicht "wirklich" dazuzugehören, immer auf der Seite der Anderen zu stehen, davon erzählen die 14 Texte wütend. Mit allem Recht. Denn in Zeiten einer erstarkten rechten Politik, in Zeiten eines Heimatministeriums, braucht es ein sichtbares Gegengewicht. Und zwar von uns allen. "Eure Heimat ist unser Albtraum" nimmt einen bei der Hand und zeigt Probleme auf, die für weiße Menschen oft nicht sichtbar sind.

"Im Englischen gibt es den schönen Ausdruck 'check your privilege', der vorschlägt, sich doch zu fragen, welche Privilegien man eigentlich hat, bevor man sich ein Urteil über das Leben anderer macht. In Deutschland ist dagegen 'Heimat' wieder en vogue, und ein alter Mann, der die Migration für die Mutter aller Probleme hält, ließ sich zum Heimatminister krönen. Vor diesem Ministerium keine Angst haben zu müssen ist übrigens auch ein unheimliches Privileg." (aus "Privilegien" von Olga Grjasnowa, Seite 138f)

Elif hat bei Instagram bereits einen kurzen Text zum Buch verfasst und ich freue mich schon sehr auf ihr abschließendes Urteil zum Buch. Und ich wünsche mir, dass dieses Buch noch mehr Aufmerksamkeit erhält. Dass die 1-Sterne-Bewertungen, die zum Erscheinungstermin des Buches bei Amazon auftauchten, von einer Flutwelle an positiven Rezensionen überschwemmt werden. Dass es mehr solche Bücher auf dem deutschen Buchmarkt gibt. Ich habe mir gleichzeitig mit "Eure Heimat ist unser Albtraum" noch "Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche" von Reni Eddo-Lodge gekauft. Das Buch werde ich so bald wie möglich lesen. 

Und falls ihr noch weitere Buchempfehlungen zum Thema hat, schreibt sie mir bitte in die Kommentare. 

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