Never change a running system. Deswegen: It's the most wonderful time of the year! Seit dem 20. August 2019 steht die Longlist des Deutschen Buchpreises 2019 fest und wie schon in den vergangenen Jahren hibbelte ich diesem Ergebnis mit viel Vorfreude entgegen (am 20. August sah ich um 09:57 Uhr auf die Uhr, schrie kurz freudig auf und öffnete die Seite des Deutschen Buchpreises, um sie dann alle 30 Sekunden zu aktualisieren. Meine Kolleg*innen haben entgeistert den Kopf geschüttelt, aber man muss tun, was man tun muss).
Traditionell versuche ich nach der Bekanntgabe der Longlist das dazugehörige Leseproben-Heft in Münchner Buchhandlungen zu erjagen. In diesem Jahr fiel die Jagd aus, weil ich das Glück hatte, bei einer Verlosung das Leseproben-Heft zu gewinnen. Nur hat dann die Post von meinem Fluch bezüglich des Heftes Wind bekommen und der Versand dauerte einfach mal viel länger als gewohnt. Doch was lange währt, wird endlich gut, das Heft ist hier und ich habe bereits letzten Sonntag alle Leseproben gelesen und bei Twitter mit gifs kommentiert (unterstützt von Ramona).
Hier folgt nun die Bewertung der Leseproben anhand der offiziellen Smiley-Skala (😃, 😐, ☹️) inklusive einer Zusammenfassung des jeweiligen Textes in einem Satz und einem Lieblingssatz. Wir nennen es:
Nordbrezens Deutscher-Buchpreis-Longlist-Leseproben-Lese-Erfahrung
"Schutzzone" von Nora Bossong. Erschienen im Suhrkamp Verlag.
In endlos langen Schachtelsätzen fährt die Protagonistin durch Bujumbura.
"... und das Nichts war ebenfalls grün, und das Grün war schön, man möchte mit der Hand über die Hügel streicheln, so schön wie über die Wange eines Geliebten, wenn der Anblick nicht mehr genügt, wenn man sich vergewissern will, und ich habe vielleicht nie eine so ruhig berauschende Landschaft gesehen, ..."
Weiterlesen? ☹️
"Der junge Doktorand" von Jan Peter Bremer. Erschienen im Berlin Verlag.
Warten auf Godot – und dann taucht er plötzlich auf, der Schuft!
"'Er ist es', hatte er ihr noch schnell zugezischt, und schon lag ihre Hand in der großen, fleischigen und nassen Hand des jungen Doktoranden, und sie hatte sie sofort wieder losgelassen und war rückwärtig in den Lehnsessel ihres Mannes gesunken."
Weiterlesen? ☹️
"Das flüssige Land" von Raphaela Edelbauer. Erschienen im Klett-Cotta Verlag.
Hier ist doch was schief gelaufen.
"Trotz des desolaten Zustandes ihrer Stadt hatten die Groß-Einländer frohen Mutes Blumenzwiebeln in die Pflanzkästen gesteckt, deren ausbrechende Triebe sich nun in meinem Nacken rieben."
Weiterlesen? 😃
"Cherubino" von Andrea Grill. Erschienen im Paul Zsolnay Verlag.
Kuchen und Schwangerschaftstests im harmonischen Einklang.
"Wenn Martha glaubt, das Leben geht nicht weiter, falls ich etwas nicht versuche, ihres nicht und meins schon gar nicht, dann kriegt sie diese Schweißausbrüche, wie ein Pflänzchen, wenn es warm wird, nach einer kalten Nacht."
Weiterlesen? ☹️
"Miroloi" von Karen Köhler. Erschienen im Carl Hanser Verlag.
Bis nach Hause ist es ein steiniger Weg,
"Alle in Schwarz, alle ganz starr, alle ganz Auge, stumm, verschlossen, zu."
Weiterlesen? 😃 (hab ich auch schon. Ich bin ungefähr bei der Hälfte und liebe das Buch sehr für seinen poetischen Pragmatismus. Hab ich mir gerade ausgedacht)
"Kintsugi" von Miku Sophie Kühmel. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Zwei Männer beziehen ihr Ferienhaus – jeder auf seine Art und Weise.
"Direkt hinter dem Waldweg in ihrem Rücken ragen die Kiefern aus dem Sandboden empor, schweigsam und schwindsüchtig wie eh und je, und vor ihnen, nur ein paar Schritte und das Haus dazwischen, liegt still und starr und schwarz der See."
Weiterlesen? 😃
"Vater unser" von Angela Lehner. Erschienen im Verlag Hanser Berlin.
So viele schöne Wörter in einem so schönen Therapiezimmer.
"Vollendung, denke ich mir, ist immer ausreizbar."
Weiterlesen? 😃
"Gelenke des Lichts" von Emanuel Maess. Erschienen im Wallstein Verlag.
... Ich hab nicht ganz aufgepasst, das war mir zu pathetisch. Haha. Apropors "pathetisch":
"Ich war nach einigen Stunden des Ausharrens und Herumlaufens in ausreichend pathetischer Verfassung, um dieser Stimmung weiter auf den Grund zu gehen, auch und vor allem, um mir ein Beispiel an jemanden zu nehmen, den man nicht einfach so warten ließ."
Weiterlesen? ☹️
"Die Leben der Elena Silber" von Alexander Osang. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Wer telefoniert schon gerne mit seiner Mutter im Taxi?
"Die Welle trug sie durch ein ganzes Jahrhundert, Jelena ritt ganz oben, dort, wo der Schaum war."
Weiterlesen? 😐
"Hier sind Löwen" von Katerina Poladjan. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Die Puppen fahren nicht nach Anatolien.
"Sobald wir in Eminönü an Land gingen, bot er mir ein Erfrischungstuch an, nahm selbst auch eins, reinigte sich die Hände, und wir dufteten um die Wette nach Zitrone aus Çeşme oder Lavendel aus Burdur."
"Der Große Garten" von Lola Randl. Erschienen im Verlag Matthes & Seitz Berlin.
Die Samstags-Pflanzen-Show in Buchform! (Wer nicht weiß, was die Samstags-Pflanzen-Show ist, kann bei Instagram nachgucken!)
"Meine Mutter schüttelt den Kopf über mein Vorhaben, ein Gartenbuch zu schreiben. Besser als jeder andere weiß sie, dass ich viel zu wenig Geduld für den Garten habe. Ich habe ihr gesagt, mein Analytiker hätte gesagt, dass ich das tun soll, aber ich bin mir unsicher, ob sie es glaubt. Zumindest hat sie seitdem nichts mehr gesagt."
Weiterlesen? 😃
"Nicht wie ihr" von Tonio Schachinger. Erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau.
Oh ... Fußball.
"Jedes Kind, jeder blöde Fan liebt den Fußball mehr als die Spieler, weil sie nicht wissen, wie dreckig es wirklich zugeht, wie dumm alles ist, wie viel Arbeit hinter allem steckt."
Weiterlesen? ☹️
"Winterbienen" von Norbert Scheuer. Erschienen im Verlag C.H.Beck.
Summ, summ, summ. Bienchen summt herum.
"Ich berührte mit den Fingerspitzen die alten, porösen Fichtenbretter, pochte vorsichtig gegen das Holz, sprach mit unseren Bienen, legte mein Ohr an den Stock und wartete auf ihre Antwort."
Weiterlesen? ☹️
"Die untalentierte Lügnerin" von Eva Schmidt. Erschienen im Jung und Jung Verlag.
Noch so eine gescheiterte Heimkehr.
"Ihre Welt bestand aus Schwarz und Weiß, und so schüchtern oder zurückhaltend sie sonst auch war, wurde sie schnell zum Hitzkopf, wenn es um Ungerechtigkeiten ging."
Weiterlesen? 😐
"Herkunft" von Saša Stanišić. Erschienen im Luchterhand Literaturverlag.
Hier bin befangen und verweise einfach auf meine Rezension zum Buch.
"Im Gebirge schmilzt der Schnee, die Flüsse wachsen den Ufern über den Kopf. Auch meine Drina ist nervös. Die halbe Stadt steht unter Wasser."
"Flammenwand" von Marlene Streeruwitz. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Irgendwas mit Familien.
"Sie hatte gedacht, mit diesem Wir sei sie miteingeschlossen. Aber das war nicht der Fall gewesen."
Weiterlesen? ☹️
"Brüder" von Jackie Thomae. Erschienen im Verlag Hanser Berlin.
Wie war das eigentlich früher so?
Wieso, fragte Mich sich viele Jahre später, verschwammen die Neunziger in seiner Erinnerung zu einem konturlosen Nebel, obwohl es sein erstes Jahrzehnt als Erwachsener war?"
Weiterlesen? 😃
"Der Sommer meiner Mutter" von Ulrich Woelk. Erschienen im Verlag C.H.Beck.
These jeans are made for .. ja, für was eigentlich?
"Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben."
Weiterlesen? 😃
"Wo wir waren" von Norbert Zähringer. Erschienen im Rowohlt Verlag.
Ein Selbstmordversuch während der Mondlandung.
"Als der erste Mensch den Mond betrag, stand sie in ihrer Einzelzelle am Fenster und sah über den noch dunklen Hof des Gefängnisses, sah zum Block der wegen Ehebruchs Verurteilten, der Diebinnen und Betrügerinnen gegenüber."
Weiterlesen? 😃
"Mobbing Dick" von Tom Zürcher. Erschienen im Salis Verlag.
Dick ist anders als gedacht.
"Die Salbe riecht nach Kamille und Kinderspielplatz und Dick beginnt nun doch zu erzählen."
Weiterlesen? 😃
Das amtliche Endergebnis:
😃 = 11
😐 = 2
☹️ = 7
Na, das ist doch mal ein sehr guter, sehr überraschender Jahrgang! Mir gefällt, dass es nicht ganz so Tod-Kriegs-lastig wie im letzten Jahr ist. Dafür geht es in diesem Jahr viel um Dostojewski'sche Familien, Löcher und Mondlandungen.
Meine persönliche Shortlist würde folgendermaßen aussehen:
"Das flüssige Land" von Raphaela Edelbauer
"Miroloi" von Karen Köhler
"Kintsugi" von Miku Sophie Kühmel
"Vater unser" von Angela Lehner
"Der Große Garten" von Lola Randl
"Herkunft" von Saša Stanišić
Dick ist anders als gedacht.
"Die Salbe riecht nach Kamille und Kinderspielplatz und Dick beginnt nun doch zu erzählen."
Weiterlesen? 😃
Das amtliche Endergebnis:
😃 = 11
😐 = 2
☹️ = 7
Na, das ist doch mal ein sehr guter, sehr überraschender Jahrgang! Mir gefällt, dass es nicht ganz so Tod-Kriegs-lastig wie im letzten Jahr ist. Dafür geht es in diesem Jahr viel um Dostojewski'sche Familien, Löcher und Mondlandungen.
Meine persönliche Shortlist würde folgendermaßen aussehen:
"Das flüssige Land" von Raphaela Edelbauer
"Miroloi" von Karen Köhler
"Kintsugi" von Miku Sophie Kühmel
"Vater unser" von Angela Lehner
"Der Große Garten" von Lola Randl
"Herkunft" von Saša Stanišić
Am 17. September wird die offizielle Shortlist bekanntgegeben. Die Preisverleihung findet am 14. Oktober statt.
Was sagt ihr zur Longlist des Deutschen Buchpreises 2019? Habt ihr Titel entdeckt, die ihr unbedingt lesen möchtet? Ich bin gespannt auf euer Urteil.
Das Archiv:
Die Longlist 2017 – Die Shortlist 2017
Die Longlist 2016 – Die Shortlist 2016
Die Longlist 2015 – Die Shortlist 2015
Die Longlist 2014 – Die Shortlist 2014
Die Longlist 2016 – Die Shortlist 2016
Die Longlist 2015 – Die Shortlist 2015
Die Longlist 2014 – Die Shortlist 2014
3 Kommentare:
Hallo,
Das ist ein schöner Beitrag mit diesen Zitaten un den kurzen Einschätzungen.
Ich weiß noch nicht genau, welche der Bücher ich lese, eines steht schon hier (Sommer meiner Mutter, hat meinem Mann gut gefallen). Mein Schatz will sich auch noch das über den Fußballspieler kaufen. Mich interessiert Miroloi und Brüder. Das flüssige Land hat mich abgeschreckt, aber die positiven Reaktionen von Menschen, mit denen ich oft eine Büchermeinung teile, bringt mich dazu es auch lesen zu wollen.
Auf alle Fälle bin ich gespannt, wir die Shortlist mit deiner übereinstimmt.
Viele Grüße
Silvia (Gruenente auf LB)
Danke Silvia für deinen Kommentar.
Ich werd wahrscheinlich nicht widerstehen können und mir noch das ein oder andere Buch von der Longlist kaufen. Und ich bin auch schon sehr, sehr gespannt, was dann schlussendlich auf der Shortlist stehen wird.
Hallo,
für mich ist die Verkündung der Longlist auch ein heiß erwartetes Ereignis! Und dann wird direkt geguckt, was habe ich davon schon gelesen? Dieses Jahr: nix. Nicht ein einziges.
Auch eine Tradition ist es inzwischen, auf Netgalley sofort einige der Titel als Rezensionsexemplar anzufragen, und dann so viele wie möglich noch vor der Preisverleihung zu lesen.
Im Moment lese ich allerdings wie eine Schnecke und habe bisher nur "Vater unser" geschafft – das fand ich aber schon mal großartig und ganz anders als erwartet. Ich liebe unzuverlässige Erzähler, wenn sie gut gemacht sind, und die Protagonistin ist ein Paradebeispiel dafür.
Schachtelsätze sind nicht meins, das schreckt mich etwas ab, auch wenn "Schutzzone" ansonsten interessant klingt.
Von "Das flüssige Land" habe ich bisher nur Gutes gehört! Das werde ich auch bald lesen. Aber als nächstes steht bei mir "Hier sind Löwen" auf dem Programm. :-)
MIt Fußball hab ich auch überhaupt nix am Hut... Da schwindet direkt die Lust, das Buch zu lesen.
Stimmt, die Longlist ist deutlich weniger Krieg als letztes Jahr, das gefällt mir auch.
Meine "Will ich lesen"-Liste:
Der Sommer meiner Mutter
Hier sind Löwen
Kintsugi
Cherubino
Winterbienen
Das flüssige Land
Flammenwand
Brüder
Miroloi
Das Leben der Elena Silber
LG,
Mikka
[ Mikka liest von A bis Z ]
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