Verrückt. So früh war ich wahrscheinlich noch nie dran mit meinem Beitrag zur Longlist des Deutschen Buchpreises. Das liegt auch daran, dass ich in diesem Jahr das Leseprobenheft erstaunlich früh in einer Buchhandlung bekommen habe bzw. es mir mitgebracht wurde. Fast vermisse ich die Jagd nach dem Leseprobenheft durch die Münchner Buchhandlungen, nachdem das letztes Jahr auch ausgefallen ist, weil ich damals das Heft gewonnen habe.
Ansonsten bleibt aber alles wie gehabt. Letzten Sonntag gab es bereits bei Twitter eine Kommentierung der Leseproben mit gifs, nun folgt die etwas längere Bewertung anhand der offiziellen Smiley-Skala (😃, 😐, ☹️) inklusive einer Zusammenfassung des jeweiligen Textes in einem Satz und einem Lieblingssatz.
Nordbrezens Deutscher-Buchpreis-Longlist-Leseproben-Lese-Erfahrung
"Die Infantin trägt den Scheitel links" von Helena Adler. Erschienen im Jung und Jung Verlag.
Eine dämonenhafte Familie sitzt am Tisch und isst Bratkartoffeln.
"Scham ist nicht dasselbe wie Reue", versichert sie, während sie die Kartoffeln schält, und bereut nichts."
Weiterlesen? 😃
"Ich an meiner Seite" von Birgit Birnbacher. Erschienen im Paul Zsolnay Verlag.
Wenn der Kaffeeautomat zur Rettungsinsel wird.
"Bald kommt der Herbst, aber Arthur fürchtet sich nicht."
Weiterlesen? 😐
"Serpentinen" von Bov Bjerg. Erschienen im Claasen Verlag.
Jede Fahrt in die Vergangenheit sollte mit einem Frühstück beginnen.
"Urgroßvater, Großvater, Vater. Ertränkt, erschossen, erhängt. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Pioniere. Ich war noch am Leben. Vor Angst schlief ich ein.
Weiterlesen? 😐
"Goldene Jahre" von Arno Camenisch. Erschienen im Engeler-Verlag.
Der Mond geht auf und der Kiosk leuchtet.
"Die Rosa-Maria kommt um die Ecke und steht neben ihr hin."
Weiterlesen? 😐
"Malé" von Roman Ehrlich. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Das Wasser steigt.
"Er schaute sich um und begriff, dass man ihn in einen Kellerraum gebracht hatte, was ihm seltsam vorkam, eben weil er auf der Insel noch nie in einem Kellerraum gewesen war und geglaubt hatte, dass sie nicht existierten oder längst geflutet sein müssten."
Weiterlesen? ☹️
"Aus der Zuckerfabrik" von Dorothee Elmiger. Erschienen im Carl Hanser Verlag.
Worte, nur Worte, nur Worte. Und eine Ananas.
"Je öfter ich zurückkehre in diesen Saal, den ich nur aus einem in den Achtzigerjahren gedrehten Dokumentarfilm kenne, desto deutlicher steht es mir vor Augen, dass mein Verlangen, diesen Ort immer wieder aufzusuchen, nichts damit zu tun hat, dass sich mir dort etwas in besonderer Klarheit zeigen würde."
Weiterlesen? 😐
"Herzklappen von Johnson & Johnson" von Valerie Fritsch. Erschienen im Suhrkamp Verlag.
Eine Familie spielt Theater ohne Drehbuch.
"Mit jedem Jahr, das sie älter wurde, erschien sie mehr auf der Welt. Mit jedem Jahr wurde sie sichtbarer auf ihr, wuchs in die eigenen Formen, nahm ihren Platz ein, hineingeboren ins Fragen und in die Lücke, die auf der Welt war, bevor ein Mensch sie füllte."
Weiterlesen? 😃
"Herzfaden" von Thomas Hettche. Erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Auf dem Dachboden der Augsburger Puppenkiste tanzen die Puppen.
"Es waren Marionetten, Marionetten übereinander, nebeneinander, unzählige Marionetten, die so leicht an ihren dünnen Fäden hingen, dass sie, als das Mädchen an ihnen vorüberging, zu klappern begannen."
Weiterlesen? ☹️
"Der Halbbart" von Charles Lewinsky. Erschienen im Diogenes Verlag.
Ein Fremder lebt nun im Dorf.
"Wenn einer lang genug hat weglaufen müssen, dann versteckt er sich mit der Zeit ganz von selber, wie eine Katze, der die Buben Steine nachwerfen."
Weiterlesen? 😐
"Streulicht" von Deniz Ohde. Erschienen im Suhrkamp Verlag.
Vom Dorf am Meer zum Schulhof mit Probealarm.
"Zusammen mit dem Gemüse und der Meeresluft, sie fehlt hier, aber das macht nichts, die Dschinn beschützen dich, sie bringen das Meer zu dir, auch wenn du es nicht siehst."
Weiterlesen? 😃
"Allegro Pastell" von Leif Randt. Erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Ich. Ich. Ich. Was Jerome eben so denkt.
"Jerome mochte den Gedanken, dass er sich selbst gegebenenfalls unerträglich finden würde, könnte er sich hier in der U4 von außen sehen."
Weiterlesen? 😃 (Hab ich auch schon. "Allegro Pastell" ist das einzige Buch aus der kompletten Longlist, welches ich gelesen habe. Und ich fand es auf eine sehr verquere Art und Weise sehr famos)
"Triceratops" von Stephan Roiss. Erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau.
Kinder, die mit Dinos spielen und Familien, die krank sind.
"Kurz nachdem die Urzeitkrebse tatsächlich geschlüpft waren, ließ unsere Schwester eine Schlaftablette in den gläsernen Wasserkrug fallen und tötete dadurch alles Leben darin."
Weiterlesen? 😃
"Der letzte Satz" von Robert Seethaler. Erschienen im Verlag Hanser Berlin.
Herr Mahler unternimmt eine Schifffahrt.
"Jemand hatte ihm vom Duft des Meeres erzählt, aber es roch nach nichts."
Weiterlesen? 😃
"Bis wieder einer weint" von Eva Sichelschmidt. Erschienen im Verlag Rowohlt Hundert Augen.
Die Fotoalben werden zu Erinnerungshülsen.
"Stimmt, was war das Erinnern vor der Erfindung der Fotografie? Und welche Rolle spielt daneben die Einbildung?"
Weiterlesen? 😐
"Annette, ein Heldinnenepos" von Anne Weber. Erschienen im Verlag Matthes & Seitz Berlin.
Das Leben eines Mädchens, erzählt in Versform.
"Geboren wird Annette in einer Sackgasse,
und das nicht bloß im übertragnen Sinne
wie wir alle."
Weiterlesen? ☹️
"1000 Serpentinen Angst" von Olivia Wenzel. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Waffeln mit Hühnchen und Rassismus.
"Mein Zeigefinger steht immer noch ausgestreckt. Kokos, schießt es mir durch den Kopf, dann falle ich auf die Knie, dann in Ohnmacht."
Weiterlesen? 😃
"Inniger Schiffbruch" von Frank Witzel. Erschienen im Verlag Matthes & Seitz Berlin.
Da steht ein Nashorn im Wohnzimmer.
"Erst in dem Moment fiel mir mit Schrecken ein, dass ich nicht nur dieses Rhinozeros, sondern auch die fünf Hunde meiner Eltern zu füttern und mit Wasser zu versorgen vergessen hatte."
Weiterlesen? 😐
"Die Unschärfe der Welt" von Iris Wolff. Erschienen im Klett-Cotta Verlag.
Eine schweigsame Kutschfahrt zum Bahnhof mit ungewissen Ausgang.
"Auch jemand, dachte sie, der der einzige Mensch auf der Welt für einen gewesen war, kann verschwinden, als hätte es ihn nie gegeben."
Weiterlesen? 😃
"Mission Pflaumenbaum" von Jens Wonneberger. Erschienen im Müry Salzmann Verlag.
Männer sitzen auf Bänken und gucken in die Landschaft.
"Er sah müde aus, doch erst als Kramer des Gehstockes gewahr wurde, eines altertümlichen Knotenstockes, den der Alte neben sich an die Bank gelehnt hatte, fragte er den Schweigenden etwas hilflos, ob er vielleicht Hilfe brauche."
Weiterlesen? ☹️
"Die Dame mit der bemalten Hand" von Christine Wunnicke. Erschienen im Berenberg Verlag.
Was ist bitte ein Astrolab?
"Er betrachtete das Astrolab mit Wehmut. Es war schön gelungen und landete im Haus eines Tölpels."
Weiterlesen? 😐
Das amtliche Smiley-Ergebnis sieht folgendermaßen aus:
😃 = 8
😐 = 8
☹️ = 4
Ein sehr ausgewogenes Ergebnis, wie ich finde. Thematisch stehen wieder Familien und andere verborgene Dramen im Mittelpunkt der nominierten Bücher. Einige sind durch die Leseprobe auf meine Merkliste gewandert, andere standen dort bereits. Mal sehen, ob ich nicht den ein oder anderen Titel in nächster Zeit noch lesen werde.
Meine Wunsch-Shortlist würde folgendermaßen aussehen:
"Die Infantin trägt den Scheitel links" von Helena Adler.
"Herzklappen von Johnson & Johnson" von Valerie Fritsch.
"Streulicht" von Deniz Ohde.
"Allegro Pastell" von Leif Randt.
"Triceratops" von Stephan Roiss.
"1000 Serpentinen Angst" von Olivia Wenzel.
Am 15. September wird die offizielle Shortlist veröffentlicht, die Preisverleihung findet am 12. Oktober statt.
Was sagt ihr zur Longlist des Deutschen Buchpreises 2020? Vermisst ihr Bücher auf der Liste? Habt ihr schon Favoriten für den Sieg?
Das Archiv:
Die Longlist 2019 - Die Shortlist 2019
Die Longlist 2018 - Die Shortlist 2018
Die Longlist 2017 - Die Shortlist 2017
Die Longlist 2016 - Die Shortlist 2016
Die Longlist 2015 - Die Shortlist 2015
Die Longlist 2014 - Die Shortlist 2014
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