Originaltitel: »Temporary« - Deutsch von Gregor Runge - Erscheinen bei Arche - 2021 - Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar an Picador
Die Heldin der Geschichte ist Zeitarbeiterin in New York. Sie arbeitet als Aushilfe in einem großen Büro, als Verkehrspolizistin, auf einem Piratenschiff, als Assistentin eines Mörders und schließlich als Mutter eines einsamen Jungen, der erzogen werden möchte. Ihr Privatleben hat sie dem ständig wechselnden Arbeitsalltag angepasst: Für jede Lebenslage gibt es den passenden Partner, achtzehn an der Zahl. Mit den Wochen werden ihre Anstellungen immer absurder – ebenso wie der ewige Versuch, dem Leben durch die Arbeit einen Sinn zu geben.
Wie viele unterschiedliche Jobs hattet ihr bereits in eurem Leben? Zwei? Fünf? Gar keinen? Wenn ich alle Praktika, Werkstudententätigkeiten und Vollzeitstellen zusammenzähle, komme ich bei mir auf bisher 13 verschiedene berufliche Stationen. Das ist irgendwie mehr, als ich angenommen habe. Und doch kann die Protagonistin aus »Die Hauptsache« darüber wohl nur müde lächeln.
»Mein Arbeitsleben spielt sich im Kurzformat ab: kurze To-do-Listen, kurze Zeiträume, kurze Röcke.« (Seite 13)
Sie ist nämlich Zeitarbeiterin und wechselt von einem Job in den nächsten. Während wir Leser*innen durch die Seiten fliegen, vermittelt ihr die Jobagentur Job um Job um Job. Büroaushilfe, Fensterputzerin, Vorstandsvorsitzende, Schuhschrank-Organisatorin, Piratin, Seepocke, Mordassistentin, Knöpfedrückerin, Flugblattverteilerin, Ersatzmutter. Immer nur vorübergehend, immer nur kurzfristig, aber immer mit der potentiellen Option einer Übernahme.
»Mein Traumjob ist ein Job, der bleibt«, sage ich zu meinem ernsten Freund. »Vielleicht bekomme ich ihn nicht morgen oder über Nacht, aber eines Tages werde ich aufwachen und so sein wie du.« (Seite 15)
Und so wie ihr Berufsleben nur temporär ist, hat sich auch ihr Privatleben angepasst, vielleicht die perfekte Version der zum Buzzword verkommenen Work-Life-Balance, in der das Arbeitsleben mehr an Gewicht trägt. So wie die Protagonistin ihre Jobs wechselt, so wechselt sie ihre Freunde und hat für jede Lebenslage den passenden Freund. Ernst, groß, fest, sportlich, Versicherungsvertreter, Lebenscoach, Gourmet, eine ganze Palette an Freunden hat sie zur Hand. Und während sie für einen Job (die Aushilfe auf einem Piratenschiff, arrr!) längere Zeit unterwegs ist, ergreifen die Freunde die Gelegenheit und belegen gemeinsam die Wohnung ihrer Freundin.
Nur nicht festlegen, nicht alles auf eine Karte setzen, immer flexibel bleiben und agil. Aber zu welchem Preis?
»Du, die du deine Jobs vermasselst, als gäbe es irgendetwas auf dieser unendlichen Welt, das mehr wert ist als ein Tag, an dem man ganze, gründliche, ehrliche Arbeit leistet.« (Seite 209)
In »Die Hauptsache« baut Hilary Leichter eine Welt, in der sich alles um Arbeit dreht und das eigene Leben über die Frage der Festanstellung definiert wird. Das ist unserer Realität nicht so fern, wird aber durch abstruse Arbeitsverhältnisse im Buch auf die Spitze getrieben. Wobei man über die Absurdität mancher realen Jobs auch streiten kann.
Für mich funktioniert in »Die Hauptsache« besonders gut die Darstellung der namenlosen Protagonistin, die zwar farblos bleibt und trotzdem ihre Eigenheiten hat. Sie will sich der Arbeitswelt anpassen, träumt von einer festen Anstellungen und scheitert genau daran, ohne zu wissen, woran ihr Versagen liegt. Dabei gelingt es Hilary Leichter sowohl die Protagonistin als auch die Arbeitswelt, in der sie sich bewegt, nachvollziehbar, ja fast sympathisch wirken zu lassen, sodass man nicht weiß, auf welcher Seite man nun stehen soll. Eine unterhaltsame Realsatire, die bestehende Arbeitseinstellungen auf den Kopf stellt.
Hilary Leichter hat im Sommersemester 2022 die Picador-Gastprofessur für Literatur an der Universität Leipzig inne und hat sich in diesem Zuge bereits bei zwei Veranstaltungen mit Svenja Gräfen und Teresa Bücker über ihr Buch unterhalten.
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