Dienstag, 1. November 2022

Lesezeit im Oktober 2022

Auch ohne Besuch auf der Frankfurter Buchmesse wurde der Oktober zu einem sehr buchigen Monat. Unter anderem, weil unser Buchclub sein 5-jähriges Bestehen gefeiert hat. Und ich irgendwie sehr viel Zeit damit verbracht habe, neue Bücher anzuschaffen. Aber dafür, dass ich im Oktober sehr lange an einem Buch gelesen habe, erfreut es mich auch sehr, dass trotzdem schlussendlich acht gelesene Bücher auf der Liste stehen. Und sie waren auch alle auf ihre ganz eigene Art lesenswert. 

»Maria malt« von Kirstin Breitenfellner.
2020 habe ich eine Biografie über Hilma af Klint gelesen, nun also ein weiteres Buch über eine Künstlerin, die ich vorher gar nicht kannte. Statt einer Biografie ist es dieses Mal ein Roman geworden, der in einem ganze eigenen Stil das Leben der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig erzählt. Ich habe mich etwas durch das Buch kämpfen müssen und versuche noch, meine Gedanken dazu zu ordnen. 

»Meine Schwester« von Bettina Flitner.
Bettina Flitner ist Fotografin und verarbeitet in diesem Buch den Suizid ihrer Schwester. Doch darin steckt noch viel mehr. Bettina Flitner erzählt von der gemeinsamen Kindheit in den 70er Jahren, der verwirrenden Beziehung ihrer Eltern mit wechselnden Affären, der Zeit bei den Großeltern mit ganz eigenen Regeln, dem Jahr, das die Familie aufgrund der Arbeit des Vaters in New York verbracht hat, der Depression der Mutter und der Abnabelung von der eigenen Familie. »Meine Schwester« ist eine Art öffentliche Trauerarbeit, die sich aber nicht voyeuristisch anfühlt, sondern Grenzen wahrt, wo diese nötig sind. Das Buch ist nominiert für den Bayerischen Buchpreis 2022 und ich bin schon sehr gespannt, ob es in der Kategorie »Sachbuch« gewinnen wird. 

»Englisch in Berlin« von Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah.
Wie inklusiv ist es eigentlich, wenn in Berlin immer mehr Englisch gesprochen wird? Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah haben ihren Instagram-Talk zu diesem Thema verschriftlicht und setzen sich intensiv und persönlich mit dieser Frage auseinander. Sehr bereichernde Lektüre!

»Wilderer« von Reinhard Kaiser-Mühlecker.
Ebenfalls nominiert für den Bayerischen Buchpreis 2022 in der Kategorie »Belletristik«. Jakob führt den Bauernhof seiner Eltern in Oberösterreich. Der Hof liegt direkt unter einer Autobahnbrücke – eine beklemmende Atmosphäre, die sich durchs ganze Buch zieht. Jakob hat das Gefühl, dass ihm nichts gelingt. Bis er Katja kennenlernt, die als Künstlerin in der Gegend zu Besuch ist. Die beiden heiraten und plötzlich führt Jakob ein ganz anderes Leben. Er stellt den Hof erfolgreich auf biologische Tierhaltung um, verdient viel Geld, bekommt die Anerkennung der benachbarten Bauern. Aber im Hintergrund steht da immer dieses Unausgesprochene, was schlussendlich alles zerstört. Ich habe etwas gebraucht, um in das Setting reinzukommen, aber Reinhard Kaiser-Mühlecker zeichnet Charaktere, die zwar nicht sympathisch sind, die einen aber trotzdem mitfühlen lassen. 

»Der Mann, der alles sah« von Deborah Levy. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke.
Deborah Levy entwickelt sich langsam, aber stetig zu einer meiner Lieblingsautorinnen. In »Der Mann, der alles sah« begleiten wir einen jungen Mann über die Abbey Road in London. Seine Freundin fotografiert ihn dabei. Jahre später kehrt der Mann nach einem Unfall wieder zu diesem Ort zurück und die Vergangenheit fügt sich mit der Gegenwart zusammen. Anfangs etwas verwirrend, wird es während der Lektüre doch alles wieder klar.

»Wo die Wölfe sind« von Charlotte McConaghy. Aus dem Englischen von Tanja Handels.
Die »Zugvögel« von Charlotte McConaghy haben mich bereits in ihren Bann gezogen, nun also Wölfe in Schottland. Nature-Writing liegt der Autorin, ich bin komplett eingenommen von der schottischen Landschaft und den Wölfen, die dort angesiedelt werden sollen. Doch dann wird es irgendwie arg kitschig mit Traumsequenzen und Mutterglück und Zwillingsverwechslungen. Ich versuche, die letzten fünfzig Seiten zu ignorieren und erfreue mich weiter an Wölfen. 

»Das Vorkommnis« von Julia Schoch.
Stell dir vor, eines Tages steht eine Frau vor dir und behauptet, deine Halbschwester zu sein. Julia Schoch umkreist auf 190 Seiten dieses Vorkommnis auf ganz eigene, mitfühlende Art, die ein wenig an Annie Ernaux erinnert. Und welch Glück, im Februar erscheint bereits der zweite Teil der »Biographie einer Frau«.

»Frei« von Lea Ypi. Aus dem Englischen von Eva Bonné.
Die letzte Buchclub-Lektüre führte nach Albanien, ein Land zu dem ich wirklich gar nichts weiß. Diese Lücke wurde durch Lea Ypi etwas geschlossen. Sie erzählt von ihrer Kindheit und Jugend Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre und den Umwälzungen, die das stalinistische Albanien, aber auch ihre eigene Familie verändert haben. Selten musste ich mich beim Lesen so oft daran erinnern, dass das hier kein Roman ist, sondern ein Sachbuch über tatsächliche Ereignisse. Richtig gut!

1 Kommentar:

Mikka hat gesagt…

Hallo Marina,

das sieht doch nach einem sehr interessanten Lesemonat aus! Eigentlich wollte ich ja alle Bücher, die für den Deutschen Buchpreis nominiert waren, ja bis zur Preisverleihung gelesen haben, aber "Wilderer" ist eines von vier Büchern, die ich nicht rechtzeitig geschafft habe.

Das will ich aber diesen Monat noch nachholen!

LG,
Mikka